Reben verlassen ihre Winterruhe nach einem ziemlich gut etablierten «Protokoll», das bereits im Winter startet. Alles beginnt mit so genannten «Tränen», Wassertropfen, die sich auf den Wunden nach dem Rebschnitt bilden. Sie zeigen an, dass die Wurzeln der Reben ihren Winterschlaf beendet haben, wieder aktiv werden und Wasser nach oben ins Holz drängen. Die Anzahl der Wochen, die zwischen dem Auftreten der ersten Tränen und dem Austrieb verstreichen kann, ist variabel, denn die Pflanze richtet sich unter Anderem nach der Bodentemperatur und der Länge der Tage. Und erst wenn alle äußeren Bedingungen günstig sind, wacht der Weinstock auf und beginnt den neuen Jahrgang.
Alle Rebsorten entwickeln sich nach einem eigenen Tempo. Ihre Empfindlichkeit gegenüber den äußeren Faktoren, wird von einer Art internen Uhr bestimmt, die in ihrem genetischen Code enthalten ist. Abhängig von diesem natürlichen „Biorhythmus“, unterscheidet man frühreife und späte Sorten. Für uns ist es am Ende wichtig, die Trauben einer jeden Rebe bei optimaler Reife zu pflücken. Aus diesem Grund ist es recht sinnvoll, die Reifezeit der Sorten, die wir pflanzen, zu kennen. Schon im 19. Jahrhundert entwickelte der französische Ampelgraf Victor PULLIAT eine Einteilung der Rebsorten, die noch heute benutzt wird. Sie basiert auf einem Vergleich aller Rebsorten mit Chasselas oder Gutedel, einer sehr frühreifen Sorte. Je nachdem, ob die Rebsorten 12 Tage, 24 Tage oder 30 Tage später reifen, werden sie als Sorten der ersten, zweiten oder dritten Reifeperiode bezeichnet. Reifen sie vor dem Gutedel, spricht man von frühreifen Sorten, brauchen sie noch mehr als 30 Tage bis zur Reifung, werden sie als spätreif bezeichnet.
Sorten der ersten Reifeperiode haben sich traditionell in kühlen Weinregionen und Rebsorten mit längerem Zyklus in wärmeren Regionen etabliert. Natürlich zeigen frühreife Sorten eine gewisse Toleranz gegenüber wärmerem Klima, denn es gedeihen durchaus einige gute Chardonnay- und Cabernet- Weine in warmen Weinregionen. Allerdings ist die Installation von spätreifen Sorten in kalten Regionen schwieriger oder gar unmöglich, weil ihre Trauben einfach nicht reifen.
Aber schauen wir uns an, was zum Zeitpunkt des Austriebes passiert. Die Knospen öffnen sich in wenigen Tagen und zeigen die ersten Blätter. Aber nicht nur! Sie enthalten auch schon die kleinen Trauben, die fünf oder sechs Monate später gelesen werden. Mit anderen Worten, die Knospen, die während der nächsten Wochen in den Weinbergen der nördlichen Hemisphäre austreiben werden, enthalten bereits die Ernte 2015! Deshalb fürchten sich Winzer auch besonders vor Frost oder Hagel im Frühjahr. Während diese beiden Phänomene die Reben selber nur selten in Gefahr bringen, können sie der noch sehr jungen Ernte erhebliche Schäden zusetzen.